Das „Gebot des fairen Verhandelns“ im Arbeitsrecht

27.09.2019 – RA Bierschenk:

Die Klägerin war seit dem 1.7.2014 bei der Beklagten als Reinigungshilfe beschäftigt. Am 15.2.2016 suchte der Geschäftsführer der Beklagten die Klägerin gegen 17:00 Uhr in Ihrer Wohnung auf und legte ihr einen Aufhebungsvertrag vor, wonach das Arbeitsverhältnis einvernehmlich zum 15.2.2016 ohne Zahlung einer Abfindung beendet wird. Die Klägerin unterschrieb diesen Vertrag. Nachdem der Geschäftsführer der Beklagten gegangen war, bekam die Klägerin Bedenken, ob sie mit ihrer sofortigen Unterschrift unter den Aufhebungsvertrag nicht einen Fehler gemacht habe. Sie wandte sich an einen Rechtsanwalt und erklärte, sie habe am 15.2.2016 krank im Bett gelegen, als der Geschäftsführer der Beklagten geklingelt habe. Ihr Sohn habe ihn hereingelassen und sie geweckt. Sie habe dann den Aufhebungsvertrag unter dem Einfluss von Schmerzmitteln „im Tran“ unterschrieben und erst hinterher gemerkt, was sie da gemacht habe. Der Rechtsanwalt erhob nach erfolgloser Korrespondenz Klage zum Arbeitsgericht, die er mit der Anfechtung des Aufhebungsvertrages wegen Irrtums, arglistiger Täuschung und Drohung begründete. Darüber hinaus widerrief er die Zustimmung zum Vertragsschluss aufgrund der Verbraucherschutzgesetze. Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht (LAG) wiesen die Klage jedoch ab. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) schloss sich in einer neueren Entscheidung der Auffassung der Vorinstanzen im wesentlichen an. Es führte aus, die von der Klägerin behauptete vorübergehende Störung ihrer Geistestätigkeit sei nicht ausreichend begründet worden. Die Klägerin sei auch bei Abschluss des Aufhebungsvertrages weder im Irrtum gewesen noch sei sie arglistig getäuscht oder bedroht worden. Auch stehe ihr kein Widerrufsrecht nach den Verbraucherschutzgesetzen zu.

Das BAG rügt jedoch, dass das Landesarbeitsgericht nicht geprüft habe, ob der Aufhebungsvertrag unter Verstoß gegen das sog. „Gebot fairen Verhandelns“ zustandegekommen und deshalb unwirksam sei. Bei diesem Gebot handele es sich um eine Nebenpflicht. Die aus dem Arbeitsverhältnis stammenden Verpflichtungen beider Parteien zur wechselseitigen Rücksichtnahme strahlten auf die Verhandlungen bezüglich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus. Das Gebot fairen Verhandelns schütze unterhalb der Schwelle einer Anfechtung des Aufhebungsvertrages wegen arglistiger Täuschung oder Drohung die Entscheidungsfreiheit bei Vertragsverhandlungen. Ein Vertragspartner verstoße z.B. gegen diese Verpflichtung, wenn er eine Verhandlungssituation herbeiführe oder ausnutze, die eine unfaire Behandlung des anderen Vertragspartners darstelle. Dies sei der Fall, wenn eine psychische Drucksituation geschaffen oder ausgenutzt werde, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners erheblich erschwere oder sogar unmöglich mache. Damit sei eine Verhandlungssituation als „unfair“ zu bewerten. Eine solche Situation könne durch die Schaffung besonders unangenehmer Rahmenbedingungen, die erheblich von der Sache selbst ablenkten oder sogar den Fluchtinstinkt weckten, geschehen. Denkbar sei auch die Ausnutzung einer objektiv erkennbaren körperlichen oder psychischen Schwäche oder unzureichender Sprachkenntnisse sowie die Ausnutzung eines Überraschungsmoments. Ob dies hier der Fall sei, müsse das LAG noch einmal überprüfen. Sollte es zu diesem Ergebnis kommen, müsse die Beklagte wegen der Verletzung der Pflicht zum fairen Verhandelns Schadensersatz leisten. Sie müsse dann den Zustand herstellen, der ohne die Pflichtverletzung bestünde. Die Klägerin wäre so zu stellen, als hätte sie den Aufhebungsvertrag nicht geschlossen. Dies würde zum Fortbestand des Arbeitsverhältnisses führen.

Damit hat das BAG ein Instrument bekräftigt, mit dem Aufhebungsverträge unterhalb der Schwelle von Täuschung oder Drohung unwirksam sein können. Der vom BAG angeführte „Fluchtgedanke“ wird in jedem Arbeitnehmer aufkommen, wenn er zum „großen Chef“ gerufen wird, dieser ihn im weiteren Beisein des Personalchefs und des Abteilungsleiters empfängt und ihn nach einer Standpauke über sein Fehlverhalten und dessen Folgen einen Aufhebungsvertrag unterzeichnen lässt.

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